Die Gender Health Gap: Warum krank sein nicht gleich krank sein bedeutet
Der Mensch neigt dazu, zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden – doch im Gesundheitswesen wurde diese Unterscheidung lange Zeit außer Acht gelassen. Die Annahme, dass Männer und Frauen in medizinischer Hinsicht gleich sind, hat über die Jahre zu zahlreichen Problemen geführt. Diese werden mit der sogenannten Gender Health Gap beschrieben. Um zu verstehen, was genau das ist und welche Auswirkungen es hat, hat sich unsere Redakteurin Tina näher mit den Ungleichheiten im Gesundheitswesen beschäftigt.
Was ist die Gender Health Gap?
Die Gender Health Gap bezeichnet die gesundheitlichen Ungleichheiten, die entstehen, wenn medizinische Behandlung und Forschung primär auf den Erfahrungen von Männern basieren. Dies führt dazu, dass Frauen oft die gleichen Medikamente und Therapien wie Männer erhalten – auch wenn ihre körperlichen Reaktionen und Bedürfnisse in vielen Fällen anders sind¹.
Ein weiterer Aspekt ist die Tendenz von Ärzt:innen, Frauen bei körperlichen Beschwerden häufiger eine psychische Erkrankung zuzuschreiben. Diese Verzerrung kann dazu führen, dass wichtige physische Ursachen übersehen werden, was die Diagnose und Behandlung erheblich verzögert oder erschwert³.
Jahrelang war die Wissenschaft stark von männlichen Perspektiven geprägt, was sich auch in der medizinischen Forschung widerspiegelte. Häufig wurden männliche Zellen oder männliche Tiere in Experimenten verwendet, während die spezifischen Bedürfnisse und Unterschiede von Frauen vernachlässigt wurden³. „Es war üblich, zu denken, was beim Mann erforscht wurde, passt auch zur Frau. Hormonzyklen wie bei der Frau stören. Schwangerschaften sind Hindernisse“, erklärt Christiane Groß², die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes.
Diese einseitige Herangehensweise hat dazu geführt, dass viele medizinische Erkenntnisse und Behandlungsmethoden nicht auf die besonderen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen abgestimmt sind ².
Warum ist die Gender Health Gap ein Problem?
Die Gender Health Gap ist ein schwerwiegendes Problem im Gesundheitssystem, das zu gravierenden Ungleichheiten in der medizinischen Versorgung führt. Frauen sind von vielen Erkrankungen häufiger betroffen als Männer, und dennoch werden ihre speziellen Bedürfnisse im Gesundheitssystem oft übersehen. Einige Krankheiten, wie Multiple Sklerose, treten bei Frauen beispielsweise viermal so häufig auf wie bei Männern. Rheumatoide Arthritis betrifft dreimal mehr Frauen als Männer, und auch Alzheimer tritt mit rund zwei Dritteln der Patienten überwiegend bei Frauen auf. Diese ungleiche Verteilung von Erkrankungen ist nur ein Aspekt der Gender Health Gap – die Symptome und die Diagnose von Krankheiten unterscheiden sich ebenfalls zwischen den Geschlechtern¹.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist der Herzinfarkt. Während Männer meist starke, stechende Brustschmerzen als Hauptsymptom erleben, die meist sofort auf einen Herzinfarkt hinweisen, sind die Symptome bei Frauen oft weniger eindeutig. Frauen klagen häufig über ein Druck- oder Engegefühl in der Brust, das bis in den Oberkörper ausstrahlen kann und mit Symptomen wie Übelkeit oder Erbrechen einhergeht. Diese unspezifischen Symptome führen häufig dazu, dass der Herzinfarkt bei Frauen zunächst falsch als Sodbrennen, Panikattacke oder sogar als Depression diagnostiziert wird³. Das hat fatale Folgen: Jede zweite Frau mit einem Herzinfarkt erhält zunächst eine falsche Diagnose, was das Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, erheblich erhöht¹.
Auch wenn Erkrankungen des Herzes und der Gefäße insgesamt mit etwa 58 Prozent häufiger bei Männern auftreten, ist die Situation unter den „Herztoten“ anders. Nur etwa 46 Prozent der an Herzkrankheiten gestorbenen Menschen sind Männer – die hohe Sterblichkeitsrate bei Frauen weist auf die mangelhafte Berücksichtigung ihrer spezifischen Symptome und Bedürfnisse hin².
Ein weiteres gravierendes Problem ist die fehlende Anpassung von Medikamenten an die Bedürfnisse der Frauen. Die meisten Medikamente werden an männlichen Probanden getestet, die im Durchschnitt größer und schwerer sind als Frauen. Zudem werden die Dosierungen in der Regel auf den männlichen Körper abgestimmt, was die Wirkung der Medikamente bei Frauen verändert. Männer bauen Wirkstoffe in der Leber schneller ab, während Frauen beispielsweise aufgrund ihrer kleineren Nieren diese länger im Körper behalten, was zu häufigeren und stärkeren Nebenwirkungen führt².
Auch die Art, wie der Körper Schmerz wahrnimmt, spielt eine Rolle: Männer sind aufgrund ihrer höheren Endorphinproduktion in Kombination mit Testosteron schmerzunempfindlicher als Frauen. Dies bedeutet, dass Frauen oft eine andere Schmerzempfindung haben und möglicherweise eine intensivere Behandlung benötigen².
Was tun gegen die Gender Health Gap?
Die Gender Health Gap ist ein ernstes Problem, das die Gesundheitsversorgung weltweit betrifft. Die Tatsache, dass Frauen oft nicht die richtige Diagnose und Behandlung erhalten, führt zu schlechteren gesundheitlichen Ergebnissen und einer höheren Sterblichkeit. Um diese Lücke zu schließen, müssen medizinische Forschung und Behandlungsmethoden die spezifischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern anerkennen und gezielt an die Bedürfnisse von Frauen anpassen. Nur so kann eine gerechtere und effektivere Gesundheitsversorgung für alle erreicht werden.
Einige Institutionen, wie die Charité Berlin und die Universität Bielefeld, gehen bereits mit gutem Beispiel voran. Sie haben geschlechtergerechte Medizin eingeführt, die auf die besonderen gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen eingeht. Doch viele Universitäten und Forschungsinstitute müssen diesem Vorbild noch folgen, um das Ungleichgewicht endgültig zu schließen und eine umfassende, inklusive Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.
Ein entscheidender Schritt wäre, die Gendergerechte Medizin fest in den Lehrplänen der Universitäten zu verankern. Nur so können künftige Mediziner:innen die Vielfalt biologischer und sozialer Geschlechterunterschiede verstehen und in ihrer Praxis anwenden.
Verschiedene Organisationen und Initiativen setzen sich für die Beseitigung dieser Lücke im Gesundheitssystem ein. So zum Beispiel die Deutsche Fernsehlotterie mit der Stiftung Deutsches Hilfswerk, die durch ihre Projekte benachteiligte Gruppen unterstützt oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das relevante Forschungsinitiativen fördert. Ebenso gibt es zahlreiche lokale und internationale Organisationen, die sich für eine gendergerechte Gesundheitsversorgung stark machen⁴.
Doch für einen wirklichen Fortschritt müssen sich so viele Leute wie möglich bei solchen Organisationen engagieren und diese unterstützen.
Quellen
¹ MySummer (o.J.), Das Gender Health Gap, https://www.mysummer.de/ratgeber/news/gender-health-gap, Dezember 2024
² ZDF heute (2024), Wie Frauen beim Arzt benachteiligt werden, https://www.zdf.de/nachrichten/ratgeber/gesundheit/frauen-arzt-gender-health-gap-100.html, Dezember 2024
³ Katrin Andre (2024), Gender Health Gap: Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung, https://femna.de/gender-health-gap/, Dezember 2024
⁴ BMBF (2024), Bekanntmachung, https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/bekanntmachungen/de/2024/07/2024-07-12-Bekanntmachung-Gender-Health-Gap.html, Dezember 2024
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